Von Brauirössern, Glückshormonen und Beerdigungen

Patti Basler, Bauerntochter aus dem Fricktal, wirkt auf den ersten Blick furchteinflössend. Doch Angst muss man höchstens vor ihren unzimperlichen Instantprotokollen oder ihrer spitzen Zunge haben, die gegen alle schiesst, die es verdienen. Im Interview bleibt sie sich treu – wo Patti draufsteht, ist auch Patti drin. Auf und neben der Bühne.

Text: Sara Steinmann Bild: Mauro Mellone

Patti Basler im Interview

Patti, du teilst deinen Vornamen Patricia mit einer ehemaligen Tennisspielerin aus dem Baselbiet. Ist schon eine Weile her, aber was hältst du von Leuten, die täglich vier bis fünf Liter Orangensaft trinken, nur fünf Stunden schlafen und als Profitennisspielerin ausschliesslich Velofahren trainieren?
Patti Basler: Da ich keine Tennistrainerin bin, würde ich mich nie auf die Äste rauslassen und Trainingsgewohnheiten von Tennisspielerinnen hinterfragen oder kritisieren. Mit Orangensaft bist du ohnehin bei der falschen Person. Ich würde nicht so viel Saft trinken, weil das irgendwann die Zähne angreift. Das wäre sehr schade, denn ich bin gerne bissig.

Was hältst du generell von Menschen, die den Ratschlägen anderer folgen, obwohl die Tipps nüchtern betrachtet ziemlich daneben sind?
Davon ist leider quasi die ganze Menschheit betroffen, nicht nur Patty Schnyder. Menschen hören auf einen Religionsführer, dessen Reden vielleicht nüchtern betrachtet gar nicht so viel Sinn ergeben. Ich habe kürzlich mit einem Katholiken gesprochen. In der katholischen Kirche gehen die Leute beichten – im Beichtstuhl, dem kleinsten Darkroom der Welt. Dadurch glauben sie, Absolution von ihren Sünden zu erlangen. Andere kaufen CO2-Zertifikate und waschen sich so von ihren Sünden rein. Wiederum andere springen von einem Kirchturm, wenn man es ihnen sagt. Wir machen wirklich sehr viele sehr dumme Dinge, weil wir auf andere hören. Das Beste wäre wohl, alle würden auf mich hören.

Zurück zum Saft. Welchen Saft trinkst du am liebsten?
Körpersäfte von anderen Menschen – trinke ich nicht! Der Satz war noch nicht fertig. Wenn schon Körpersäfte, dann diejenigen von Nutztieren. Eine gute Blutwurst, ein Gelato aus Kuhmilch, ein Ziegenkäse. Zudem entsafte ich alles, was zu Hause oder im Bühnen-Backstage gerade herumliegt und konsumiert werden muss.

Gibt es Tage, an denen du dich komplett unlustig fühlst, aber abliefern musst? Wie überwindest du das?
Ich werde den Teufel tun und hier meine Tricks verraten. Zu diesem Zweck biete ich Kurse an. Im Grunde fühle ich mich nie wirklich lustig. Meine Aufgabe ist es, Menschen zu erheitern oder zum Nachdenken anzuregen. Satire muss nicht immer lustig sein. Sie ist ein Zerrspiegel der Wirklichkeit. Selbst das Wort «Satire», gespiegelt an einem V-förmigen Keil, ergibt «veritas» (lat. Wahrheit). Aber klar hatte ich auch schon schlechte Tage. Doch das ist wie in anderen Berufen. Solche Jobs sind, wie wenn du einen schlechten Lover hast: ein unbefriedigendes Erlebnis.

Als Kabarettistin bist du immer gefordert. Wie gehst du mit mentalem Druck um?
Druck? Der weibliche Körper ist ja im Grunde ein 3-D-Drucker. Beim Gebären sogar komplett digitalisiert, Arbeiten unter WWW. Wehen habe ich zwar nicht im klassischen Sinne, da ich es mehr mit Kopfgeburten halte. Dort geht es gar nicht ohne Druck beim finalen Entstehungsprozess. Sei es ein Text für die Bühne oder für die Presse, ich spüre die Presswehen, das Abliefern ist eine einzige Pressekonferenz. Da das Maschineli im Kopf immer arbeitet, ist die Kunst ein wichtiger Druckabbau.

Dein grösster und wichtigster Muskel ist dein Gehirn? Wie trainierst du diesen Muskel? Kann man Spoken Word Poetry üben?
Da ich früher als Lehrerin Biologie unterrichtet habe, weiss ich, dass das Gehirn kein Muskel, sondern ein Nervengewebe ist. Es besteht aus dem präfrontalen Cortex, aus Laterallappen, der Amygdala, aus dem Hypothalamus. Sollen wir das alles jetzt durchgehen? Es ist ein ähnliches Gewebe wie der Darm. Und bei gewissen Leuten ist möglicherweise bei der Verteilung in die falsche Kiste gegriffen worden. Je nachdem, was oben und was unten rauskommt …

Kann man das Gehirn trainieren?
Ja, man kann zu mir in den Kurs kommen, denn alles lässt sich trainieren. Ich bin ursprünglich Lehrerin und habe im Zweitstudium Erziehungswissenschaft studiert. Das hätte ich nicht getan, wenn ich nicht an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen glauben würde. Genauer gesagt, an die kanalisierte Entwicklungsfähigkeit, also die Lernfähigkeit des Menschen. Aber für meine Arbeit braucht es wahrscheinlich ein gewisses Grundtalent. Und Talent bedeutet ja «Begabung», etwas, das einem gegeben worden ist. Ich spreche hier nicht unbedingt von einer Kompetenz oder von einem Können. Sondern vielmehr von einem Wollen oder vielleicht gar einem Müssen. Kunst ist keine Frage des Wollens, sondern des Müssens. Manche verwenden dafür Worte wie Leidenschaft, Feuer, Muse oder Ähnliches.

Wie hast du dieses Talent auf eurem Bauernhof im Fricktal entdeckt?
Wir haben so abgelegen gewohnt, dass ich mich schlicht nicht mit anderen Leuten vergleichen konnte. Daher dachte ich, es sei normal, zu jeder Gelegenheit Gedichte zu schreiben, alle täten das. Deshalb war ich erstaunt, dass dies nicht die Norm war. Wirklich begriffen habe ich das erst, als ich mit über 30 Jahren den Poetry-Slam entdeckte. Ich besuchte mit meiner Klasse die deutschsprachigen Weltmeisterschaften in Zürich. Gut machen die das, dachte ich, aber Gedichte aufschreiben und vortragen kann doch jede. Das tue ich ja seit dem Kindergarten. Ergo: Wenn ich es kann, dann müsste ich es bloss noch tun. Für mich war es also eher erstaunlich, dass dies ein aussergewöhnliches Talent sein soll.

Schwörst du auf Brainfood?
Ich esse, was es im Backstage-Bereich gibt. Meistens ist das einfach ein kaltes Plättli mit Früchten, Nüssen, Fleisch und Brot, es gibt immer eine grosse Auswahl. So profane Angelegenheiten wie Einkaufen versuche ich zu vermeiden. Selbst online kaufe ich nicht ein. Ich bin beinahe eine Konsumverweigerin, allerdings nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus Faulheit. Einmal im Jahr Kleider kaufen reicht auch.

Haben alle Menschen theoretisch das Zeug zur Spoken-Word-Artistin?
Natürlich. Die einen sind einfach gut und die anderen weniger, aber es braucht ja auch die Schlechten. Bei den Wettbewerben innerhalb der «Slamily» herrscht immer eine sehr wohlwollende Stimmung. Niemand wird ausgelacht, Buhrufe sind verboten, auch wenn weniger talentierte Leute mitmachen. Einige betreiben das jahrelang als Hobby, obwohl sie nie gewinnen. Ich finde das wunderbar. Gerade wenn man nicht die allerbeste Performance hingelegt hat, freut man sich, wenn es jemand noch mehr verhaut.

Auftrittskompetenz, Selbstbewusstsein, Sprache, sensible Sprache, Stimme oder Körperhaltung lassen sich lernen. Aber wie steht es um die Schlagfertigkeit oder die Ideenfindung?
Schlagfertigkeit ist beim Poetry-Slam ja nicht gefragt. Du schreibst einen Text, den du vorbereiten und bearbeiten kannst, bis du damit zufrieden bist. Dann trittst du mit diesem Text auf. Und Ideen zu finden, kann man tatsächlich lernen. Wer Tricks und Tipps kennen lernen will, kann bei mir gern einen Kurs dazu buchen. Das Stichwort heisst: «Think outside of the box.» Zum Beispiel dadurch, dass man die Perspektive ändert: Angenommen, wir wollen mit der Textform Tagebucheintrag arbeiten. Das ist jetzt nicht gar so spannend, deshalb nehmen wir eine andere Perspektive ein, zum Beispiel die eines Handys. Dieses könnte etwa schreiben: «Die ganze Nacht liege ich neben ihr. Nicht etwa im Bett, sondern daneben. Morgens streichelt sie mich wach, stundenlang, immer wieder. Dann lässt sie mich kurz wieder einschlafen, und ich schreie, schreie immer wieder, damit sie mich weiter streichelt. Nur um weitere neun Minuten zu schlummern. Anderthalb Stunden lang. Dafür kenne ich alle ihre Geheimnisse.» Dies ist eine sehr einfache Technik, im Grunde schon beinahe ein Trick, und führt zu lustigen Ergebnissen.

Wie hast du es mit der Gesundheit? Homöopathie oder Schulmedizin?
Die «Globulisierung» ist nicht mein Thema. Ich bin der Wissenschaft verpflichtet. Doch leider fröne ich der Prokrastination, schiebe also immer alles auf. Beim Thema Gesundheit funktioniert das nicht, da helfen Prävention und Vorsorge. Glücklicherweise habe ich die Gesundheit eines durchschnittlichen Brauereirosses. Als Bauerntochter ging ich erst zum Arzt, wenn bereits der Knochen herausragte und ich mindestens einen Liter Blut verloren hatte … Und auch dann nur zum Veterinär. Dies habe ich beibehalten. Das Schlimmste, was mir passiert ist, war eine Corona-Erkrankung samt Long Covid, verbunden mit Gedächtnislücken und Wortfindungsstörungen.

In deinem Job ist es sicher schwierig, sich abzugrenzen. Hast du eine gesunde Work-Life-Balance?
Mein Kopf arbeitet immer. Das muss raus, deshalb habe ich meine Diagnose zum Beruf gemacht. Ich trenne zwar Beruf und Privatleben, bleibe aber auch als Bühnenfigur Patti Basler. Im Gegensatz zu anderen Künstlerinnen wie Lisa Eckhart. Sie ist brillant und in allem das Gegenteil von mir: Sie erreicht Abstand durch Siezen, durch äusserliche Fragilität, näselnde Wiener Arroganz und bleibt eine reine Kunstfigur, während ich als notorische Duzerin mit einer gewissen Bodenständigkeit gelte. Wer Work-Life-Balance braucht, scheint bei der Arbeit kein Leben zu haben. Ich allerdings lebe am intensivsten, wenn ich auf der Bühne stehe, Applaus erhalte, mit den Fans schäkere. Da werden Hormone wie Dopamin, Adrenalin, Serotonin oder Oxytocin ausgeschüttet. Wie sehr mir das fehlt, wenn ich nicht auftreten kann, habe ich insbesondere während des Lockdowns gespürt.

Du kennst beides: das Schweizer Fernsehpublikum, aber auch die kleinen Bühnen. Was ist dir lieber, wo fühlst du dich wohler?
Das Feedback auf der Bühne ist direkter, Hormonausschüttung und Belohnungszentrum werden sofort aktiviert. Die Leute klatschen schon nur aus Höflichkeit – das macht einfach viel mehr Spass. Man muss keine Klicks checken, Quoten prüfen oder Kommentare lesen. Die Hater agieren vor allem online, selbst wenn sie nie an einem Auftritt waren. Zu ihnen gibt es leider kein Korrektiv. Wer Auftritte live gut fand, tummelt sich seltener in Kommentarspalten. Im Fernsehen aufzutreten, ist wohl der Teil des Jobs, der am wenigsten Spass macht. Das geht in meiner Branche nicht ausschliesslich mir so. Wer für die Kamera arbeitet, spürt das Publikum nicht.

Sind Fernsehauftritte also ein «Müssen»?
Gerade wer politische Satire macht, möchte meist auch in den öffentlich-rechtlichen Medien auftreten. Sie sind unabhängig und haben ein grosses Publikum. Zudem liefern sie mit Nachrichtensendungen den Boden für Satire. Mit sehr vielen Followern kann man auch im Internet bestehen, muss sich aber durch Werbung finanzieren oder vom Publikum bezahlen lassen. Ich möchte gerne unabhängig bleiben, und für Tiktok bin ich bald zu alt. Slapstick und massentauglicher Humor von reiferen Comedians mögen schon mal viral gehen. Aber eher, wenn nicht allzu politische Themen bedient werden. Schon gar nicht, wenn sich diese auf die Schweiz beziehen.

Als freischaffende Künstlerin muss man anders mit Geld umgehen, weil man weniger finanzielle Sicherheit hat. Legst du Geld fürs Alter zurück, oder gibst du es lieber aus?
Ich investiere alles in Drogen, Partys und Toyboys. Und in die 3., 4. und 5. Säule. Doch wie im kurzen Videointerview bereits erwähnt, bleibe ich eher auf der sicheren Seite.

Worüber darf man nicht lachen?
Je ernster und brisanter das Thema, desto mehr sollte man darüber lachen. Ich liebe den britischen Humor, der für die Schweiz oft zu düster ist. Nehmen wir das Ende des Films «Monty Python’s Life of Brian», als gekreuzigte Männer im Chor «Always Look on the Bright Side of Life» singen. Einfach grossartig, selbst im Angesicht des Todes den Humor nicht zu verlieren. Nirgends ist das Lachen befreiender als bei einer Beerdigung. Macht der Pfarrer einen Witz oder erzählt etwas Lustiges – natürlich voller Pietät –, wirkt das stärker als auf jeder Comedy-Bühne. Lachen, Humor, künstlerische Verarbeitung sind auch immer ein Verspotten des Todes. Wer lacht, muss sich weniger fürchten. Der Humor und die Hoffnung sterben zuletzt. Hauptsache, dem letzten Corona-Schleim, den ich auf dem Totenbett heraushuste, folgt noch eine letzte Pointe. Es ist ein tröstliches Verspotten der Endlichkeit. Ein Zeichen dafür, dass man sich über das schnöde Leben und den Tod erhebt, darüber lacht und bestenfalls etwas schafft, das über den eigenen Tod hinaus wirkt.

Zur Person

Patti Basler mag ein wenig furchteinflössend erscheinen. Doch die Satirikerin, Autorin und Slam-Poetin, geboren und aufgewachsen auf einem Bauernhof in Zeihen im aargauischen Fricktal, ist auf friedlicher Mission. Sie überzeugt durch ihre schnelle Denke, ihr aussergewöhnliches sprachliches Talent und ihre Vielseitigkeit. Neben zahlreichen weiteren Engagements instantprotokolliert die Kabarettistin in der «Arena» des SRF, an Kongressen oder Firmenevents, tourt auf deutschsprachigen Bühnen und wurde 2019 mit dem Salzburger Stier und dem Prix Walo ausgezeichnet. 2022 wurde sie Schweizer Kolumnistin des Jahres. Ende Februar schrieb Patti Basler zusammen mit Lara Stoll einen offenen Brief im Namen eines Frauenkollektivs ans SRF. Dieser war die Antwort auf die vielen Medienanfragen, warum bei der «Deville»-Nachfolgesendung keine Frau berücksichtigt worden sei. Er enthielt harsche Kritik an den Strukturen des SRF. www.pattibasler.ch 

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